Donnerstag, 9. September 2010

parisienne




















Copyright: Sebran d'Argent

Vor kurzem habe ich meine Cousine in Paris besucht. Bei einem Spaziergang durch den Stadtteil Marais fielen mir einige Fotos auf, die neben dem Schaufenster einer Boutique hingen. Altmodisch anmutende Fotografien neben den neuesten Herbsttrends! Die Bilder stammen von Sebran d'Argent. Der Fotograf und seine Frau reisen vor allem durch Asien. Sebran fotografiert mit einer alten Kamera aus den 30er Jahren und bearbeitet die Bilder anschließend mit einer bestimmten Technik. Er hat es mir erklärt. Leider gibt mein Französisch nicht so viel her und ich habe nur das Wenigste verstanden.

→ Photo Verdeau

Freitag, 30. Juli 2010

berührend




















Copyright: Phillip Toledano (aus: "Last days with my father")

Auf meinem Streifzug durch die Buchhandlungen nach einem Ansichtsexemplar von Dennis Hopper's exorbitanten Fotoband ist mir eine kleine Fotoreportage aufgefallen. Phillip Toledano hat die drei letzten Lebensjahre seine dementen Vaters begleitet. Mit der Kamera (aber nicht nur mit der Kamera) nähert er sich seinem Vater an und nimmt gleichzeitig Abschied. Damit entstand das berührende Portrait einer Vater-Sohn-Beziehung.

Ich denke an meinen eigenen Großvater, der ebenfalls an fortschreitender Demenz "litt". "Leiden" ist vielleicht der falsche Ausdruck, denn er schien das selbst gar nicht wahrzunehmen. Meine Großmutter verlor allerdings nach und nach die Stütze ihres Lebens. Ich erinnere mich daran, dass meine Cousine und ich uns von meinem Großvater verabschiedeten, um in die Stadt zu gehen. Er holte umständlich sein Portmonnaie aus der Gesäßtasche hervor, kramte minutelang in den Münzen und gab uns schließlich 10 Pfennig. Komplizenhaft blickte er uns an und sagte: "Macht Euch einen schönen Nachmittag". Das war 1988!

→ Days with my father / Phillip Toledano

Freitag, 23. Juli 2010

zu kurz

























❝Der Blues beschreibt die Sehnsucht einer Frau, nach einem guten Mann.❞
(Janis Joplin)

Donnerstag, 22. Juli 2010

Dienstag, 20. Juli 2010

take it easy, rider!



















Im meiner eher unfreiwilligen Sommerpause habe ich mir vorgenommen, Dinge zu tun, zu denen ich sonst nicht komme, weil ich zuviel zu tun habe. Damit meine ich weniger, die großen Vorhaben, wie zum Beispiel einmal im Leben den Mount Everest zu besteigen, sondern eher ganz Alltägliches. Ihr kennt das alle. Ein Film, eine Ausstellung, ein Konzert – man liest davon, würde gerne hingehen und zwei Minuten später ist es Schall und Rauch.


Seit einiger Zeit schon möchte ich gerne einen Blick in das Fotobuch „Dennis Hopper – Photographs 1961 – 1967“ (TASCHEN) werfen. Hopper hatte in den 60er Jahren viel fotografiert, unter anderem auch für die „Vogue“ und den „Harper’s Bazaar“. Doch wie sich bald herausstellt, ist dieser Wunsch reichlich naiv, denn der Band kostet 750,00 Euro und ein Ansichtsexemplar gibt es natürlich nirgends. Auf der Website des Verlages kann sich der Besucher aber freundlicherweise durch einige Seiten klicken. Der Blick durch das digitale Schlüsselloch in die Hopper-Welt lohnt sich auf jeden Fall.

Viel einfacher dagegen kann ich mein zweites Vorhaben realisieren. Ich gehe in die nächste Videothek und leihe mir "Easy Rider" aus. Der Hippie-Kultfilm steht seit dem Tod von Dennis Hopper im Mai 2010 auf meiner „Unbedingt-Anschauen-Agenda“. Dennis Hopper und Peter Fonda alias Billy (the Kid) und Wyatt (Earp) sind mit ihren Motorrädern unterwegs von Los Angeles nach New Orleans. Unterwegs treffen sie Jack Nicholson alias Georg Hanson. Das ist so grob die Handlung. Der zweite rote Faden lässt sich in einem Satz zusammenfassen „Morgens ein Joint und der Tag ist dein Freund“. Mit jeder neuen Szene entsteht bei mir der Eindruck, dass die drei waren beim Dreh total bekifft waren. Georg Hansons Monolog von den Venusmenschen muss die Initialzündung für die großartige Mehmet-Scholl-Szene in Lammbock gewesen sein! Der junge Nicholson war eine echte Schnitte, meine Damen. Ich habe an dieser Stelle extra einen Screenshot für Euch gemacht!



Mein Eindruck ist gar nicht so falsch. Dennis Hopper stand wohl tatsächlich unter Drogeneinfluss. Gedreht wurde in sieben Wochen mit einem Budget von 500.000 Dollar. Das Drehbuch entstand quasi nebenbei! Doch bereits eine Woche nach Erscheinen im Juli 1969 hatte der Film die Kosten wieder eingespielt. „Easy Rider“ spiegelte das Gefühl einer ganzen Generation wieder. Der Film rettete nicht nur die Firma Harley Davidson vor dem Ruin, sondern veränderte konzeptionell und stilistisch die gesamte Filmbranche.




Donnerstag, 15. Juli 2010

on my way

Ab sofort habe ich einen neuen Lieblingssong, "If I was" von den Young Rebels. Dieses Lied werde ich immer wieder hören können. Ich wippe automatisch im Takt der Gitarre und denke daran meine Siebensachen in den abgewetzten Rucksack zu packen, zum Bahnhof zu fahren und mich in den nächsten Zug zu setzen. Die Rebels auf den Ohren. Das letzte Mal überkam mich dieses Gefühl bei "Society" von Eddie Vedder, dem Soundtrack zu "Into the wild".

Dieser Song gehört zum akutellen Levis-Spot für die
Herbst/Winter Kollektion 2010. Levis hat ja bekanntlich ein gutes Händchen bei der musikalischen Untermalung seiner Werbespots. So auch diesmal!

Mittwoch, 7. Juli 2010

Schreibübung 2




















Das Land von Abu Sir

Vor langer Zeit war der Kaufmann Abu Sir in ferne Länder gereist, um seine kostbaren Waren zu verkaufen. Jeder, der ihn fragte, woher er denn stamme, bat er um etwas Geduld. „Schließe zuerst deine Augen. Du kannst mein Land von hier aus sehen, wenn Du es möchtest.“ Die Neugierigen ließen sich auf die kleine Aufgabe ein.

„In meinem Land flimmert die Hitze unter der afrikanischen Sonne. In der Mittagszeit suchst Du einen der üppigen Gärten auf und legst Dich unter einen schattenspendenden Baum. Der schwere Duft der Bougainvillae steigt Dir in die Nase. Du bist angenehm schläfrig. Um deine Sinne wieder zu beleben, gehst Du in ein Café und bestellst einen thé à la menthe. Das süße Getränke erfrischt Dich.“

An dieser Stelle machte Abu Sir gewöhnlich eine kurze Pause. Seine Zuhörer waren sich meist noch nicht sicher, um welches Land es sich genau handelte.

„Du gehst weiter in die Souks. Dort ist es angenehm kühl und farbig. Bei den Gewürzhändlern stehen große Körbe mit rotem Pfeffer und bei den Wollfärbern hängen Seile in leuchtenden Farben von den Mauern herab. Langsam steigst Du zur Kasbah hinauf. Du lässt deinen Blick über die Dächer der Stadt gleiten, mit ihren Kuppeln, Minaretten und dem Gewirr aus kleinen Gässchen. Von dort oben kannst Du das Meer sehen und die Ruinen des einst mächtigen Karthago. Dir wird bewusst wie alt dieser Ort ist.“

„Siehst Du es vor Dir, das Land aus dem ich stamme?“

Samstag, 19. Juni 2010

groß

























Copyright: Julian Schnabel (Mickey Rourke)

Technische Entwicklungen leben von ihrer Fortsetzung. Was zunächst als eine Vision erscheint, wird irgendwann zur Wirklichkeit. Wir haben unsere Welt digitalisiert und sind heute die Regisseure unserer eigenen Lebensdoku. Doch wie sieht diese Welt aus? Wir schauen wehmütig zurück und stellen fest, dass wir etwas verloren haben. Die Ästhetik! Die Ästhetik des Analogen!

Mit dem analogsten Medium aller Zeiten - dem Polaroid - dokumentierte auch der Künstler und Regisseur Julian Schnabel sein Leben, seine privaten Räume, seine Familie, seine Freunde und auch sich selbst. "Recording" nennt er den visuellen Mitschnitt all der Menschen und Dinge, die ihm wichtig sind. Das NRW-Forum in Düsseldorf zeigt bis zum 11. November 2010 über einhundert großformatiger Sofortbilder. Schnabel verwendete eine 20 x 24 inch Polaroid Kamera auf Rollen aus den den 70er Jahren. Daher das ungewöhnlich große Format 50,8 auf 60,96 cm. Bedauerlicherweise werden für diese Kamera keine Filme mehr produziert!

Neben Lou Reed und den Beastie Boys fotografierte Schnabel auch den Schauspieler Mickey Rourke. Die Portraits dieses verlebten, vernarbten und verletzten Mannes gehören sicherlich zu den eindrucksvollsten Fotografien dieser Ausstellung.

Julian Schnabel selbst ist in erster Linie Künstler, obwohl er einige Male auch eindrucksvoll als Regisseur in Erscheinung getreten ist. 1996 mit "Basquiat" und 2007 mit "Schmetterling und Taucherglocke". Dem Maler Jean-Michel Basquiat widmet übrigens die Fondation Beyeler in Basel aktuell eine umfangreiche Ausstellung.



Mittwoch, 9. Juni 2010

topmodisch


Copyright: Ralf Jürgens - ProSieben.de

Ich kann mir nicht helfen, aber ich habe das Gefühl, dass seit ein paar Wochen ein modischer Ruck durch Deutschland geht. Genauer gesagt, seit dem Start der neuen Folge GNTM und ganz besonders, seitdem Carrie & Co wieder unterwegs sind.

Es ist eine ganz erstaunliche Entwicklung, die ich auch an mir selbst beobachte. Fühle ich mich mittwochs in Jeans und Turnschuhen noch sauwohl, überkommt mich am Freitag morgen auf einmal der Drang nach hohen Absätzen, Glitzer und Nagellack! Irgendwie laufe ich auch anders. Wahrscheinlich üben wir ihn am Freitag alle ein bisschen, den Chica Walk.

Ich bin mir sicher, auch die aktuellen, politischen Ereignisse tragen dazu bei, dass wir uns verstärkt der Mode zuwenden. Die Staatenkrise, damit einhergehend die Angst vor einer Inflation und um dem noch eins drauf zu setzen, kündigte die Regierung diese Woche einen rigiden Sparkurs an. Am besten man - vielmehr frau - flüchtet sich in Sachwerte und kauft endlich die Manolo Blahnik Schuhe.
Und dann die Ölkrise im Golf von Mexico. Dieser ganze Dreck. Da sehnt mach sich ja geradezu nach etwas reinem, sauberen – einer weißen Bluse von Ann Demeulemeester zum Beispiel.

Auch Samantha, Carrie, Miranda und Charlotte trotzen tapfer der Wirtschaftskrise und erleben das Märchen von tausendundein Paar Schuhen. Zugegeben, politisch korrekt verhalten sich die vier Freundinnen in Abu Dhabi nicht wirklich! Aber die Trends für diesen Sommer sind mal wieder gesetzt!

Mit einem weinenden und einem lachenden Auge verabschiede ich mich heute von dem schillernden Mode-SchnickSchnack, der mich die letzten Wochen begleitet hat! Mein Geldbeutel wird es mir danken. Aber ich blicke zuversichtlich in die Zukunft: wir tauschen einfach den Laufsteg gegen grünen Rasen!

Dienstag, 1. Juni 2010

nasty


Copyright: Moriyama Daido

Streunende Hunde oder wie ich Moriyama Daido für mich entdeckte. Daido ist der Fotograf der Aussen-stehenden, der Verlorenen und der Suchenden. Er selbst ist wie ein streunender Hund, ein Fotograf der Straße. Er streift durch die Städte und fotografiert mit einer kleinen Kompaktkamera. Fast unbemerkt hält er sie in Höhe und fängt im Vorbeigehen bizarre, seltsam intime Momente ein. "I want to take a lot of nasty photos", sagt er. Das Saubere, Gepflegte interessiert ihn nicht. Ich entdeckte ein Plakat mit diesem fiesen, kleinen Straßenhund in einem Antiquariat in Tokyos Stadtviertel Kanda. Auf meine Frage, von wem denn dieses Plakat sei, nannte man mir Moriyama Daido und führte mich in die zweite Etage. In dem abgedunkelten, staubigen Raum lagen in einem Karton zahlreiche Abzüge seiner Bilder.

Spaziergang mit Daido >>
The official Website >>

Samstag, 29. Mai 2010

natürlich nackt!


Copyright: Jenny Cage & Tom Betterton

Der schöne Fotobildband "Upstairs, Downstairs & Outside" by Jenny Cage & Tom Betterton ist erschienen beim Damiani-Verlag und kostet 45,00 Euro. Ganz das Gegenteil von Rankin's Cheeky!

Samstag, 15. Mai 2010

herausragend

Copyright: Paolo Pellegrin / Magnum Photos

Bei der diejährigen ADC-Verleihung fiel auf, dass der stern in der Kategorie Editorial - Beitrag Magazin und Supplement besonders oft vertreten war. Herausragend finde ich die Fotostrecke von Paolo Pellegrin "Glamour und Grauen" (stern; 44/2009). Mehr von Pellegrin gibt es bei Magnum Photos.

Montag, 10. Mai 2010

lesenswert

Ganz ehrlich! Wer hat gewusst, dass der Song „Because the night“ von Patti Smith stammt? Das sie in den 70er Jahren mit dem Fotografen Robert Mapplethorpe liiert war? Patti Smith ist bisher immer an mir vorbei gegangen?! Endlich habe ich diese Künstlerin entdeckt, dank ihrer Autobiographie „Just Kids“.

Mit diesem Buch hält Patti Smith ein Versprechen. Das Versprechen, das sie ihrem Freund Robert Mapplethorpe gegeben hat, ihrer beider Geschichte eines Tages aufzuschreiben. Es hat viele Jahre gedauert, aber jetzt hat sie es getan. Sie beschreibt die Zufallsbegegnung mit dem jungen Mapplethorpe im New York der siebziger Jahre. Eine Begegnung, die den Verlauf ihres Lebens veränderte.

Das wilde, unkonventionelle und dreckige N.Y dieser Zeit ist der perfekte Ort für die künstlerische Selbstfindung der beiden. Hinzu kommen inspirierende Freundschaften mit vielen Beatniks darunter Allen Ginsberg und William S. Burroughs. Fast ein bisschen neidisch könnte man werden – zumindest wenn man in Stuttgart 21 wohnt!!

Patti Smith ist heute 63 Jahre alt. Mit Robert Mapplethorpe, der 1989 an Aids starb, verband sie immer eine tiefe Freundschaft.

„Es war der Sommer, in dem Coltrane starb. Der Sommer von Chrystal Ship. Blumenkinder erhoben ihre leeren Arme, und China zündete die H-Bombe. Jimi Hendrix setzte in Monterey seine Gitarre in Brand. Es gab Unruhen in Newark, Milwaukee und Detroit. Es war der Sommer von Elvira Madigan, der Sommer der Liebe. Und in dieser wechselhaften, unwirtlichen Atmosphäre ändere eine Zufallsbegegnung den Lauf meines Lebens. In diesem Sommer traf ich Robert Mapplethorpe.“ (Patti Smith: "Just Kids", erschienen bei Kiepenheuer & Witsch)

Sonntag, 25. April 2010

CHANEL N°5



Als Werber sollte man sich Werbung anschauen, wo immer sie einem begegnet. Auch im Fernsehen! Das bedeutet zwangsläufig, dass man sich in die Abgründe der privaten Kanäle begeben muss. Nur aus diesem Grund, das möchte ich ausdrücklich betonen :-), habe ich mir letzten Donnerstag "Germanys Next Top Model" angeschaut und wurde in der Werbepause angenehm überrascht.

Der französische Regisseur Jean-Pierre Jeunet hat einen Werbefilm für Chanel N° 5 gedreht, in der Hauptrolle Audrey Tautou. Bereits mit der ersten Einstellung taucht man ein in eine Zeit, als das Reisen mit der Abfahrt begann und nicht erst mit Ankunft. Bahnhöfe sind Ausgangspunkte und Zielorte, dazwischen fühlt man sich auf eine angenehme Art losgelöst. Alles scheint möglich. Man ist bereits fort, aber noch nicht angekommen. In solchen Momenten lebt es sich vielleicht am intensivsten in der Gegenwart.

Jeunet erzählt die sinnliche Begegnung zwischen einem Mann und einer Frau während einer Reise mit dem Nachtzug nach Istanbul. In dezenten Details setzt er dabei das Parfum und die Marke Chanel in Szene. Das ist keine störende Werbepause, das ist Filmgenuss.

Schreibübung 1

Schreiben Sie eine Kurzgeschichte, in der folgende Stichwörter enthalten sein müssen: Alfred Kümmerling, Erdbeermarmelade, Aktentasche, Parkplatz, Schlaflosigkeit, Regenschirm, Red Bull, Formel Eins. Hier das Ergebnis:

Ein anderer Mensch

Alfred Kümmerling war seit 30 Jahren bei den Stadtwerken als Buchhalter tätig. Er hatte einen ausgeprägten Ordnungssinn, auch wenn sein Nachname anderes vermuten ließ. Ihm entging nichts, sei es auch ein noch so versteckter Zahlendreher! Bis vor kurzem hatte er mit seiner Mutter zusammen gewohnt. Diese war jedoch vor vier Wochen überraschend verstorben und seitdem musste Herr Kümmerling morgens selbst sein Brot mit Erdbeermarmelade bestreichen. Ein riskantes Unterfangen! Neulich hatte er für einen Moment nicht aufgepasst und seine Krawatte in die Marmelade getunkt. Solche Entgleisungen wären früher nicht passiert. Überhaupt, war das Leben voller Gefahren und Versuchungen, die ihn seit dem Tod seiner Mutter regelmäßiger heimsuchten. Er wusste, dass er besonders einer Versuchung nicht würde widerstehen können.

Wie jeden Morgen packte Alfred Kümmerling sein Pausenbrot in die Aktentasche, nahm den Regenschirm von der Garderobe und machte sich auf den Weg zur Arbeit. Auf dem Parkplatz traf er seine Kollegen von den Stadtwerken. Morgen würde endlich dazugehören, dachte er. Morgen würde er ein anderer Mensch sein.

Die Zeit im Büro verging noch langsamer als sonst. Es fiel Herrn Kümmerling schwer, sich zu konzentrieren. Punkt 17.00 Uhr legte er den Stift hin. Während seine Kollegen auf ein Feierabend-Bier in die Funzel gingen, begann Alfred Kümmerling seinen Plan in die Tat umzusetzen. Dazu musste er noch einige Einkäufe erledigen. Zuhause bereitete er ein leichtes Abendessen zu und räumte die Wohnung auf. Er war müde, gleichzeitig aber seltsam aufgewühlt. Die letzten Nächte hatte er an Schlaflosigkeit gelitten.

Alfons Kümmerling fieberte seit Tagen auf diesen Moment hin. Nervös lief er in seiner Wohnung hin und her und blickte immer wieder unruhig auf die Uhr. Schließlich zog er die Vorhänge im Wohnzimmer zu und dämmte das Licht. Dann ging er ins Bad und betrachtete nachdenklich sein blasses Gesicht im Spiegel. Heute Nacht würde er das tun, was alle Männer taten! Aus dem Flur ertönte plötzlich der helle Schlag der Standuhr. Endlich war es soweit. Kümmerling ging zurück ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein. Heute Nacht würde sein erstes Formel 1-Rennen sehen. Silberpfeil gegen Red Bull. Endlich!

Der 15 Minuten Mann


„Um sieben Uhr vierunddreißig steht er immer direkt neben mir. Ich kann es auf seiner Uhr lesen.“ Suzuka nippt an ihrem Tee und blickt hinaus auf die Chuo dori. Soeben ist die Fußgängerampel wieder auf grün gesprungen und hunderte farbenprächtige Regenschirme überqueren die Straße. Ihrer Freundin Hiromi ist der Zusammenhang offenbar nicht ganz klar, denn sie erwidert nichts darauf. „ Er hält sich an dem Griff über mir fest. Der Ärmel seines Anzugs rutscht etwas nach unten und ich kann seine Uhr sehen“, erklärt Suzuka.

Die Armada der Regenschirme wartet wieder geduldig auf grünes Licht. Hiromi sagt noch immer nichts. Suzuka kann das Schweigen nur schwer aushalten. „Ich weiß gar nicht, wann ich ihn zum ersten Mal bemerkt habe. Aber es ist wie bei einem unangenehmen Geräusch. Wenn es einem erst einmal aufgefallen ist, kann man gar nicht mehr weghören.“ „Ist es dir denn unangenehm?“, fragt Hiromi nun endlich nach. Suzuka überlegt und betrachtet dabei wieder die wandernden Schirme. Seit Tagen regnet es in Tokyo. Der Ausläufer eines Taifuns nähert sich der Stadt. Sie und ihre Freundin sitzen in einem Café. Sie haben beide eines dieser französischen Miniatur-Törtchen vor sich auf dem Teller. Sie sehen so kostbar aus, dass Suzuka das Gefühl hat, mit der Kuchengabel gleich ein Bild der Zerstörung anzurichten.

„Nein, es ist mir nicht unangenehm. Neulich habe ich um sieben Uhr neunundzwanzig sogar einen Hustenanfall simuliert, damit die Leute um mich herum etwas Platz machen.“ Suzuka lächelt verlegen. „In Wahrheit warte ich auf ihn.“ „Du wartest jeden Morgen darauf, dass ein fremder Mann sich in der U-Bahn neben dich stellt?“, fragt Hiromi etwas ungläubig. „Nein! Ich warte jeden Morgen darauf, dass sich immer derselbe fremde Mann neben mich stellt.“

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Wackelkatze