Sonntag, 25. April 2010

CHANEL N°5



Als Werber sollte man sich Werbung anschauen, wo immer sie einem begegnet. Auch im Fernsehen! Das bedeutet zwangsläufig, dass man sich in die Abgründe der privaten Kanäle begeben muss. Nur aus diesem Grund, das möchte ich ausdrücklich betonen :-), habe ich mir letzten Donnerstag "Germanys Next Top Model" angeschaut und wurde in der Werbepause angenehm überrascht.

Der französische Regisseur Jean-Pierre Jeunet hat einen Werbefilm für Chanel N° 5 gedreht, in der Hauptrolle Audrey Tautou. Bereits mit der ersten Einstellung taucht man ein in eine Zeit, als das Reisen mit der Abfahrt begann und nicht erst mit Ankunft. Bahnhöfe sind Ausgangspunkte und Zielorte, dazwischen fühlt man sich auf eine angenehme Art losgelöst. Alles scheint möglich. Man ist bereits fort, aber noch nicht angekommen. In solchen Momenten lebt es sich vielleicht am intensivsten in der Gegenwart.

Jeunet erzählt die sinnliche Begegnung zwischen einem Mann und einer Frau während einer Reise mit dem Nachtzug nach Istanbul. In dezenten Details setzt er dabei das Parfum und die Marke Chanel in Szene. Das ist keine störende Werbepause, das ist Filmgenuss.

Schreibübung 1

Schreiben Sie eine Kurzgeschichte, in der folgende Stichwörter enthalten sein müssen: Alfred Kümmerling, Erdbeermarmelade, Aktentasche, Parkplatz, Schlaflosigkeit, Regenschirm, Red Bull, Formel Eins. Hier das Ergebnis:

Ein anderer Mensch

Alfred Kümmerling war seit 30 Jahren bei den Stadtwerken als Buchhalter tätig. Er hatte einen ausgeprägten Ordnungssinn, auch wenn sein Nachname anderes vermuten ließ. Ihm entging nichts, sei es auch ein noch so versteckter Zahlendreher! Bis vor kurzem hatte er mit seiner Mutter zusammen gewohnt. Diese war jedoch vor vier Wochen überraschend verstorben und seitdem musste Herr Kümmerling morgens selbst sein Brot mit Erdbeermarmelade bestreichen. Ein riskantes Unterfangen! Neulich hatte er für einen Moment nicht aufgepasst und seine Krawatte in die Marmelade getunkt. Solche Entgleisungen wären früher nicht passiert. Überhaupt, war das Leben voller Gefahren und Versuchungen, die ihn seit dem Tod seiner Mutter regelmäßiger heimsuchten. Er wusste, dass er besonders einer Versuchung nicht würde widerstehen können.

Wie jeden Morgen packte Alfred Kümmerling sein Pausenbrot in die Aktentasche, nahm den Regenschirm von der Garderobe und machte sich auf den Weg zur Arbeit. Auf dem Parkplatz traf er seine Kollegen von den Stadtwerken. Morgen würde endlich dazugehören, dachte er. Morgen würde er ein anderer Mensch sein.

Die Zeit im Büro verging noch langsamer als sonst. Es fiel Herrn Kümmerling schwer, sich zu konzentrieren. Punkt 17.00 Uhr legte er den Stift hin. Während seine Kollegen auf ein Feierabend-Bier in die Funzel gingen, begann Alfred Kümmerling seinen Plan in die Tat umzusetzen. Dazu musste er noch einige Einkäufe erledigen. Zuhause bereitete er ein leichtes Abendessen zu und räumte die Wohnung auf. Er war müde, gleichzeitig aber seltsam aufgewühlt. Die letzten Nächte hatte er an Schlaflosigkeit gelitten.

Alfons Kümmerling fieberte seit Tagen auf diesen Moment hin. Nervös lief er in seiner Wohnung hin und her und blickte immer wieder unruhig auf die Uhr. Schließlich zog er die Vorhänge im Wohnzimmer zu und dämmte das Licht. Dann ging er ins Bad und betrachtete nachdenklich sein blasses Gesicht im Spiegel. Heute Nacht würde er das tun, was alle Männer taten! Aus dem Flur ertönte plötzlich der helle Schlag der Standuhr. Endlich war es soweit. Kümmerling ging zurück ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein. Heute Nacht würde sein erstes Formel 1-Rennen sehen. Silberpfeil gegen Red Bull. Endlich!

Der 15 Minuten Mann


„Um sieben Uhr vierunddreißig steht er immer direkt neben mir. Ich kann es auf seiner Uhr lesen.“ Suzuka nippt an ihrem Tee und blickt hinaus auf die Chuo dori. Soeben ist die Fußgängerampel wieder auf grün gesprungen und hunderte farbenprächtige Regenschirme überqueren die Straße. Ihrer Freundin Hiromi ist der Zusammenhang offenbar nicht ganz klar, denn sie erwidert nichts darauf. „ Er hält sich an dem Griff über mir fest. Der Ärmel seines Anzugs rutscht etwas nach unten und ich kann seine Uhr sehen“, erklärt Suzuka.

Die Armada der Regenschirme wartet wieder geduldig auf grünes Licht. Hiromi sagt noch immer nichts. Suzuka kann das Schweigen nur schwer aushalten. „Ich weiß gar nicht, wann ich ihn zum ersten Mal bemerkt habe. Aber es ist wie bei einem unangenehmen Geräusch. Wenn es einem erst einmal aufgefallen ist, kann man gar nicht mehr weghören.“ „Ist es dir denn unangenehm?“, fragt Hiromi nun endlich nach. Suzuka überlegt und betrachtet dabei wieder die wandernden Schirme. Seit Tagen regnet es in Tokyo. Der Ausläufer eines Taifuns nähert sich der Stadt. Sie und ihre Freundin sitzen in einem Café. Sie haben beide eines dieser französischen Miniatur-Törtchen vor sich auf dem Teller. Sie sehen so kostbar aus, dass Suzuka das Gefühl hat, mit der Kuchengabel gleich ein Bild der Zerstörung anzurichten.

„Nein, es ist mir nicht unangenehm. Neulich habe ich um sieben Uhr neunundzwanzig sogar einen Hustenanfall simuliert, damit die Leute um mich herum etwas Platz machen.“ Suzuka lächelt verlegen. „In Wahrheit warte ich auf ihn.“ „Du wartest jeden Morgen darauf, dass ein fremder Mann sich in der U-Bahn neben dich stellt?“, fragt Hiromi etwas ungläubig. „Nein! Ich warte jeden Morgen darauf, dass sich immer derselbe fremde Mann neben mich stellt.“

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Wackelkatze